Kriegstreiber gab es in allen Lagern

Nicholson Baker „Menschenrauch – Wie der Zweite Weltkrieg begann und die Zivilisation endete“, 640  Seiten, 24,90 €, Rowohlt, ISBN: 978-3498006617;

Menschenrauch

Was ist das für ein Buch? Ein Sachbuch? Ein Roman? Pseudowissenschaftliche Quellenarbeit? Oder ist es gar Journalismus? Irgendwie alles von allem. Nicholson Baker (52), ein Romancier in Maine, hat eine zutiefst subjektive Darstellung des Zweiten Weltkriegs geschrieben und sie mit authentischen Dokumenten objektiviert.

Viel ist geschrieben worden über dieses im Frühjahr auf Deutsch erschienene Geschichtswerk. Daniel Kehlmann, neuerdings eine moralische Instanz in Deutschland, nannte es „ein Buch für die Feinde der Demokratie“. Als ob die Demokratie so wenig wehrhaft wäre.

Tatsächlich kann man Bakers Zettelkasten durchaus als manipulaativ beurteilen. Aber es kaschiert nichts. Es zieht einen nicht auf den Tisch. 1000 Quellen hat der Autor gesichtet und sie jeweils mit einleitenden Sätzen aneinandergefügt.

Bakers Weg in den Weltkrieg startet schon 1892 mit der Pazifistin Bertha Suttner und dem Industriellen Alfred Nobel. Er zitiert Churchill, Roosevelt und all die anderen Staatenlenker, die nach Kriegsende zu Helden ernannt wurden.

Aus Opfern werden Täter. Feldherren, die mit gnadenlosem Zynismus Krieg führen und nicht als die humanistischen Superdemokraten, als die sich nach erfolgreichem Waffengang gelten. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, so kommentierte Churchill, dass er erst die deutschen Industrieanlagen bombadieren ließ und dann die Zivilbevölkerung.

Baker gibt nicht vor, eine wissenschaftliche Analyse geschrieben zu haben. Er will ein Botschaft loswerden und er wählt (mit großer Wahrscheinlichkeit) die Quellen entsprechend aus. Aber sind sie deshalb falsch?

Churchill und Roosevelt waren den Juden nicht freundlich gesinnt. Das weiß man längst. Baker liefert dazu die Quellen: Trotz der steigenden Zahl von Flüchtlingen aus Deutschland erhöhten die USA ihre Einwanderungsquoten in den 1930er Jahren nicht und führten so das spätere Argument ad absurdum, sie hätten mit dem Kriegseintritt die europäischen Juden retten wollen.

Zitate aus Zeitungen, Tagebüchern, Auszüge aus Memoiren und Redenhat Baker chronologisch aneinander gereiht. Eine Art Erzähler verknüpft die Dokumente und macht diese Geschichte über die Ursachen des zweiten Weltkriegs zu einem Werk, das gleichberechtigt mit den großen Arbeiten der Geschichtswissenschaft gesehen werden. Nur die Herangehensweise ist eine völlig andere. Hier gilt wie im Journalismus. Je mehr Interpretationen man liest, umso näher kommt man der Wahrheit.

Bewertung: ****


Short URL for this post: http://bit.ly/dycxPF
Diesen Beitrag bookmarken bei Diese Icons verlinken auf Bookmark Dienste bei denen Nutzer neue Inhalte finden und mit anderen teilen können.
  • MisterWong
  • Y!GG
  • Webnews
  • del.icio.us
  • Facebook
  • Technorati
  • Google Bookmarks
  • YahooMyWeb
  • TwitThis

2 Gedanken zu „Kriegstreiber gab es in allen Lagern

  1. Pingback: Lauter Lesenswertes » Blog Archiv » Die besten Bücher 2009 und die …

  2. Pingback: Lauter Lesenswertes » Blog Archiv » Die Schönheit des Reims

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert