Die zwei Seiten einer Medaille

Aysegül Acevit „Zu Hause in Almanya“, 196 Seiten, 17,90 €, Campus, ISBN: 978-3593386997;

Das Bild, das meine Tochter von Ausländern hat, bekümmert mich: Wann immer sie abends in München unterwegs ist und von jungen Männern angemacht oder bedroht wird, sind es nur „die Türken“. Schlimm? Schlimm! Jetzt habe ich mit ihr einen Deal geschlossen: Ich korrigiere ihre Studienarbeiten, und sie liest dieses Buch. Sie ist einverstanden. Es besteht wieder Hoffnung!

„Zu Hause in Almanya“ ist endlich mal ein gekonnter Beitrag zur Integration (was für ein bescheuerter Begriff). Es ist leichtfüßig, lesenswert, amüsant und vor allem: Es kommt ohne erhobenen Zeigefinger aus. Türken und Deutsche sind nur zwei Seiten einer Medaille, sie leben gemeinsam in einem Land, die einen als Mehrheit, die anderen als Minderheit.

Das ist natürlich nur die Theorie. Tatsächlich ist die Wohnungssuche für Deutschtürken meist dann beendet, wenn der Vermieter den Namen der Interessentin hört. Die türkischstämmige Ärztin muss sich von ihren Patienten bei der ersten Begegnung als Sprechstundenhilfe ansprechen lassen.

Türken haben’s schwer in Deutschland, ganz gleich, ob sie die Sprache beherrschen, Abitur haben oder mit Kopftuch und in bunte Tücher gekleidet unterwegs sind. Sie sind immer die Außenseiter. Kein Wunder, wenn sie sich immer wieder so benehmen (siehe meine Tochter) und keine Veranlassung sehen, „richtig“ deutsch zu lernen.

Die Journalistin Aysegül Acevit, die im Ruhrgebiet aufwuchs und heute für den WDR arbeitet, aber immer wohlwohlend in die Herzen ihrer deutschen Mitbürger, und sie spricht immer von „uns“. Gut so! Sie hadert aber mit jenen eingewanderten Türken, die mit dem Herzen noch in der Heimat sind und sich auf ihr neues Zuhause nicht einlassen wollen.

Der Schlussabschnitt, ein Einblick in die türkische Geschichte und die jahrhundertealten Ressentiments gegen die Osmanen, ist nicht nötig, aber sicher hilfreich zum gegenseitigen Verständnis.

Ein leichtfüßiger Einblick in die Lebenswelt der Türken in Deutschland, der deutschen Türken, der Deutschtürken in der Türkei und nicht zuletzt der Deutschen überhaupt. Ich bin gespannt darauf, was meine Tochter sagt.

Empfehlenswert dazu ist auch der Film „Import-Export“ von Eren Önsöz.

Bewertung: *****

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