Die Lebenden und die Toten

Isolde Ohlbaum „Bilder des literarischen Lebens“, 360 Seiten, 69 €, Schirmer/Mosel, ISBN: 978-3829603850;

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Promi-Fotografen vulgo Paparazzi genießen fürderhin nicht den besten Ruf. Diese Dame schon. Isolde Ohlbaum ist sozusagen die Haus-und-Hof-Fotografin der deutschen Verlage. Kaum ein Coverproträt, das nicht den Copyright-Vermerk Ohlbaum trägt. 352 dieser Fotografien hat der Schirmer/Mosel-Vertrag jetzt in einem veritablen Bildband  zusammengefasst.

Der Titel „Literarisches Leben“ ist doppeldeutig: Die Porträtierten sind allesamt Schriftsteller und Dichter, und Ohlbaums Fotos sind ebenfalls Kunst, bildnerische Literatur sozusagen.

Die große Kunst der Oberbayerin ist das Reinversetzen in ihre Gegenüber. Mit zwölf Jahren bekam sie ihre erste Kameras, eine Agfa. Ihr Handwerk lernte sie vor fast 40 Jahrem an der „Bayerischen Staatslehranstalt für Fotografie“. Bald danach entdeckte sie die Faszination der Porträtfotografie.

Der New Yorker Tom Wolfe etwa schrieb nicht nur über das „Fegefeuer der Eitelkeiten“, Ohlbaums Bild zeigt ihn im weißen Anzug in arroganter Pose als selbstverliebten Darsteller.

Thomas Bernhard hingegen, der österreichische Miesepeter, vor knapp 20 Jahren gestorben und wegen seiner Gesellschaftskritiken bis heute hoch aktuell, traf Ohlbaum im obligatorischen Rollkragenpulli auf der Couch, in abweisender Pose, grimmig schauend – so wie man sich ihn vorstellt. „Wir verbrachten einen heiteren Tag“, sagt Isolde Ohlbaum über dieses Foto.

Aus den vielen tausend Fotos der Ohlbaum hat ihr Verlag 352 ausgesucht, von Herbert Achternbusch bis Armin Zweite. Heraus kam der „Große Ohlbaum“, wie derr Verlag mit Fug und Recht behauptet.

„Was geschieht eigentlich mit einem Schriftsteller, der photografiert wird?“ fragte Cees Nooteboom in seinem Vorwort. „Schriftsteller sind Menschen, die sich regelmäßig in Räumen einschließen, in denen sie völlig allein sind; wenn man das Photo eines Schriftstellers in seinem Arbeitszimmer sieht, weiß man also, dass etwas nicht stimmt, ein anderer ist zugegen, was ja nie vorkommt.“

Sozusagen die Heisenbergsche Unschärferelation: Allein die Beobachtung beeinflusst den Beobachteten. Folglich sind Ohlbaums Bilder Kunstprodukte: Loriot mit Mops, Paul Auster mit Zigarette und herausforderndem Blick, Thomas Brasch im Spiegel und Erich Fried in einem Lehnstuhl – die Lebenden und die Toten, in schwarz-weiß.

Ein beeindruckendes Dokument.

Bewertung: *****



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Ein Gedanke zu „Die Lebenden und die Toten

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