Eine Geschichte, aber viele Wahrheiten

Elliot Perlman „Sieben Seiten der Wahrheit“, 861 Seiten, 22,95 €, DVA, ISBN: 978-3421043412;

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Es gibt nicht Schlimmeres als eine Beziehung, nichts Schlimmeres, nicht Schöneres, nichts Schwierigeres. Und beide Beteiligten bewerten ihre Beziehung völlig anders, abhängig von ihrer Geschichte, ihrer Prägung, ihrer Persönlichkeit. In seinem zweiten Roman schildert der Australier Perlman (der erste, der in Deutschland erscheint) sogar sieben Perspektiven einer Geschichte und wird auf knapp 800 Seiten niemals langweilig.

Im Gegenteil! Da ist der Psychotherapeut, dessen Tochter, eine Jugendliebe, eine Prostituierte und manch anderer. Und alle erzählen die Geschichte des unglücklichen Simon auf ihre Weise, soll heißen, sie stülpen ihre eigene Geschichte, ihre eigene Problematik über die des unglücklichen Helden, der zehn Jahre nach der Trennung von seiner großen Liebe in aller Verzweiflung deren Sohn entführt.

Was ist Liebe? Was empfinden wir in unserer Einsamkeit? Wie interpretieren wir Realität? Drei der großen Fragen, die in diesem großartigen Roman behandelt werden. Es gibt keine einzige Wahrheit, es gibt immer viele Sichten der Dinge. Perlman: „Wenn jemand nach der Lektüre meines Romans sagt, er fühle sich jetzt weniger allein, vielleicht sogar verstanden, dann ist das für mich als Schriftsteller der größte Lohn.“

Perlmans Figuren kommen alle aus dem australischen Melbourne. Sie waren – gesellschaftlich und wirtschaftlich betrachtet – mal oben, mal unten. Und, was noch wichtiger ist, sie haben sich alle irgendwann verloren. Der Autor schenkt ihnen reichlich Platz, sich zu entwickeln und eine gesellschaftliche Doppelmoral zu entlarven, um die jeder weiß und wegen der jeder wegschaut.

Die Wahrheit hat jeder selbst gepachtet . Und so gehört die Wahrheit, die dem Roman ihren Namen gab, auch gar niemand. Die in Krisen steckenden Figuren Perlmans verstehen es jedenfalls, sich in Lebenskrisen, Emotionen, Fantasien, Probleme und Hoffnungen zu versetzen.

„Sieben Seiten der Wahrheit“, ein bewegender, sprachlich klarer und überaus glänzender Roman, zeigt auf, wie wenig geduldig und tolerant die Menschen sein können. Der Roman ist ein großer Wurf.

Bewertung: *****

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