Brenntage sollen die Lasten beseitigen

Michael Stavaric „Brenntage“, 230 Seiten, 18,95 €, C.H. Beck, ISBN: 978-3406612657;

Oh wie abgründig kann doch die Fantasie sein, die des Schriftstellers, aber natürlich auch die des  Ich-Erzählers, dessen Onkel einmal sagte: „Die Brenntage sind das Beste, was unserer Siedlung passieren konnte.“ An diesen Tagen wird durch Feuer gereinigt, materielles und geistiges, alles, was weg soll, kommt weg.

 

Nichts hat hier einen Namen, der Erzähler nicht, auch dessen Onkel nicht und schon gar nicht das Dorf. Nirgendwo wird der Blick auf das Wesentliche verstellt, nämlich der Umgang mit den Dingen der Vergangenheit, die belastend sind und deshalb verbrannt werden. Und so mythisch das klingt, so seltsam ist die ganze Geschichte, sie führt uns in eine Welt voll von merkwürdigen Lebewesen, Ideen und Wünschen. Bei dem in Österreich lebenden Stavaric steht nicht die Handlung im Vordergrund, sondern die Magie der Sprache. Eine Kostprobe:

„Eigentlich hatte ich noch nie wirklich darüber nachgedacht, wo die Mutter und Tante abgeblieben waren und ob sie vielleicht nach ihrem Tod irgendwo als Geister ihr Auskommen gefunden hatten, sich fortan auch nicht mehr waschen und niemals an einem Ort verweilen mussten („Freigeist“ war doch ein schönes Wort, und ich gestehe es, mitunter wusch ich mich ziemlich ungern). Vielleicht irrte ich mich auch und es gab gar keine Geister, die umherhuschenden Schatten mochten von Fledermäusen und Nachtfaltern stammen, doch ganz bestimmt gab es die Toten, die in meiner Vorstellung lebendig wurden, klebrige und poröse Gestalten, die mich nächtelang wach hielten und niemals erwachsen werden ließen.“ 

Nehmen wir die Tante, sie bevorzugt das Rezept Scheiterhaufen, eine Mehlspeise mit Äpfeln, in der Röhre gebacken, durch sie dereinst, nach ihrem Tod auch wandert. Und doch nicht gestorben ist, weil in diesem seltsamen Dorf der Minenarbeiter auch die Verblichenen präsent bleiben. Die eigenen Geister wird man nicht los, trotz des alljährlichen Exorzismusses der Brenntage.

Und am Ende entflammt das ganze Dorf.

Bewertung: *****

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