Zuhause im Nirgendwo

Melinda Nadj Abonji „Tauben fliegen auf“, 314 Seiten, 22 €, Jung und Jung, ISBN: 978-3902497789;

Ich muss zugeben, der Deutsche Buchpreis für diesen Roman hat mich gefreut, bevor ich Abonjis Werk kannte: Ein Migranten-Schicksal als Preisträger und ein kleiner, aber verdienstvoller Verlag – das klang gut. Und doch bleibt ein fader Beigeschmack. Denn Wawerzineks „Rabenliebe“ hat mich wesentlich mehr beeindruckt.

Melinda Nadj Abonji ist Serbin, 1968 geboren in der Vojvodina, wo ihre Familie der ungarischen Minderheit angehörte. Als sie fünf Jahre alt war, emigrierte ihre Familie in die Schweiz. Dort, in Zürich,  lebt die 42-Jährige heute als  Autorin, Musikerin und Textperformerin.

Integration ist in aller Munde. Deshalb passt das opulente „Taubenfliegen auf“ so gut in die Zeit. Es geht um das Miteinander der verschiedenen Kulturen, um ein Leben zwischen zwei Welten, um den Verlust der Heimat.

„Ich war noch nicht lange in der Schweiz, und ich erinnere mich an viele schlaflose Nächte, und oft, wenn ich meine Eltern belauscht hatte, wirbelten die Wörter in meinem Kopf wie Laub an einem regnerischen, stürmischen Herbsttag, Wörter auf Ungarisch wie Papiere, Polizei, Briefe, dankbar, deutsche Wörter wie Familiennachzug, Schwarzarbeit, und wahrscheinlich hatte meine Mutter damals getrunken, was sie sehr selten tat, ich höre heute noch ihre Stimme, schrill in ihrer Verletztheit, drei Jahre, zehn Monate, zwölf Tage, bis die Einreisebewilligung endlich da war, für die Kinder.“

Abonji erzählt von der serbischen Familie Kocsis. Sie gehört nirgend hin, nirgendwo dazu, in der Schweiz sind sie Ausländer. Wenn sie im Sommer Urlaub in der Heimat machen, gelten sie hingegen als die „Westler“ und werden mit Neid betrachtet und ausgegrenzt.

Die Sprache ist „multikulti“, sehr eigen, sehr verschachtelt, sehr melodisch: Lange Sätze und immer wieder Zeitsprünge. Der Bosnien-Krieg bedeutet den Bruch mit der neuen Heimat. In der alten Heimat geht alles zu Bruch. Freunde, Verwandte, alle werden in den Krieg hineingezogen. Und in der Schweiz – die Eltern haben längst die Staatsbürgerschaft – wird das Misstrauen gegen die Einwanderer ständig größer – egal wie etabliert sie erscheinen mögen.

Der Roman von Melinda Nadj Abonij schlägt eine Brücke, inhaltlich und sprachlich. Da gibt es für uns als Leser noch viel zu lernen.

Bewertung: ****

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