Rabenliebe? Nein, keine Liebe, nur Lüge

Peter Wawerzinek „Rabenliebe: Eine Erschütterung“, 450 Seiten, 22,95 €, Galiani, ISBN: 978-3869710204;


Ist Peter Wawerzinek ein DDR-Schriftsteller? Gibt’s das noch? Natürlich, „Rabenliebe“ ist geschichtliche Aufarbeitung pur und eine ganz persönliche Tragödie. Der Autor, geboren 1954 in Rostock, erzählt hier seine eigene Geschichte, von der Mutter, die nach dem Vater in den Westen floh und Wawerzinek und seine Schwester, zwei und ein Jahr alt, in ihrer Wohnung zurück ließ. „Rabenliebe“ ist ein Drama über das Verlassenwerden.

Viele Jahre hat der Berliner Autor mit sich gekämpft, bevor er bereit war, seine eigene Geschichte zu thematisieren, die „Rabenliebe“ seiner Rabenmutter, diese unvorstellbare Tat, die Kinder sich selbst zu überlassen, um wegzugehen. Und wie furchtbar ist, was folgte: „Mein Leben kennt keine andere Jahreszeit als den Winter“, schreibt der Autor über das Durchgereichtwerden durch Kinderheime und Pflegefamilien. Mutter, so etwas existiert nicht mehr.

Und letztlich ist „Rabenliebe“ dann doch keinesfalls DDR-Geschichte. Es ist nicht der äußere Mangel, der Wawerzinek umtreibt, sondern das Fehlen jeglicher Herzensliebe, Zuwendung, Empathie. Und in dieser Hinsicht wäre es ihm im Westen keinesfalls besser ergangen.

Dorthin reist er am Schluss des Romans, der kein Roman ist, um sie zu treffen, sie, seine Mutter. Jahre vorher schon hatte er ihre Telfonnummer abgespeichert. Er ist nicht wütend, vielmehr neugierig und trifft auf eine Frau, die nicht einen Funken Reue empfindet, sondern es sich in ihrer Lebenslüge komfortabel eingerichtet hat. Und die eine neue Familie hat mit acht weiteren längst erwachsenen Kindern.

Ein brachiales Buch, harte Kost, zutiefst emotional und schon deshalb besonders lesenswert. Der Deutsche Buchpreis 2010 blieb Peter Wawerzinek wohl deshalb versagt, weil er vor einem halben Jahr schon in Klagenfurt mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.

Bewertung: *****


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