Von der Sinnlosigkeit des Unvollkommenen

Cesare Pavese „Die einsamen Frauen“, 208 Seiten, 19,90 €, Claassen, ISBN: 978-3546004381;

„Bitterer Reis“ ist einer der berühmtesten Filme der italienischen Nachkriegszeit, ein Zeitdokument, dass Hunger, Armut und Ausbeutung im ländlichen Nachkriegs-Italien eindrucksvoll darstellt. „Die einsamen Frauen“ ist das literarische Gegenstück dazu. Autor Cesare Pavese wäre im September 100 Jahre alt geworden. Die Neuausgabe dieses 1949 veröffentlichten Romans ist ein perfektes Vermächtnis.

Der Schauplatz ist Turin, Hauptstadt des Piemonts – ein alter Industriestandort, geprägt von sozialen Unterschieden. Ende Januar, es liegt noch Schnee, kehrt Clelia Oitana nach 17 Jahren zurück in ihre Heimatstadt. Sie soll ein Modeatelier eröffnen, Filiale eines römischen Luxusladens.

So wird sie Teil der besseren Gesellschaft. Sie lernt junge Turinerinnen kennen, die viel Geld haben, nicht arbeiten müssen und getrieben sind von Sinnlosigkeit, „einsame Frauen“ eben. Sie heischen nach Luxus (Mariella), sind zynisch mit sich und anderen (Momina) oder sehen in ihrem Leben keinen Sinn mehr (Rosetta).

Clelia bekommt in ihrem Hotelzimmer mit, wie Rosetta versucht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. „Zu Karneval Gift schlucken, eine Schande!“ sagt das Zimmermädchen. Clelia, die sich eigentlich aus allem heraushalten will, rutscht immer tiefer in diese liederliche Gesellschaft, die nur Vergnügen kennt und Sex und Oberflächlichkeit.

Der Roman verrät viel über den Autor, über seine Zerrissenheit. Für ihn steht Clelia, die sich in die Arbeit stürzt, dort ihren Sinn sucht und ansonsten funktioniert. Der Gegenentwurf ist die lebensmüde Rosetta. Sie findet sich ungenügend und belässt es nicht bei dem Suizidversuch.

Welche Ironie: Zehn Monate nach Erscheinen bringt sich Pavese um, in einem Hotelzimmer mit einer Überdosis Schlafmittel – genau auf die gleiche Weise wie Rosetta. Neun Tage vor seinem Freitod schreibt er noch drei Sätze in sein Tagebuch: „Nicht Worte. Ein Geste. Ich werde nicht mehr schreiben.“

Pavese, der Meister des Neorealismus, bildete ein Italien ab, das bis heute fortwirkt, in dem sich Chaos und Klüngelwirtschaft des heutigen Mussolini Berlusconi-Staats schon gezeigt haben. In klarer Sprache, ohne überflüssige Schnörkel, aber immer hart dran an der Wirklichkeit.

Der Kommunist Pavese war ein großer Freund amerikanischer Literatur. Er übersetzte unermüdlich Werke der Weltliteratur, etwa Joyce, Dos Passos, Steinbeck und Hemingway. „Amerika, das war eine elektrisierende Antithese zum faschistischen Italien“, schrieb eine Zeitung ganz passend.

„Die einsamen Frauen“ war der Abschluss seiner Turiner Trilogie, ein Sittengemälde. „Die eigentliche Botschaft des Buchs ist eine Vertiefung deiner Lehre von der Einsamkeit“ hat der später noch berühmtere Schriftsteller Italo Calvino seinem väterlichen Freund Pavese 1949 geschrieben.

Tipp: Unbedingt Lesen! Pavese ist ein Stück Weltliteratur.

Bewertung: ****

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