Als Sklave in der untersten Unterklasse des Proletariats

Kurt Drawert „Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte“, 319 Seiten, 19,90 €, C.H. Beck, ISBN: 978-340657688;

Wow, was für eine furiose Geschichte. Ein dreihundertseitiges Gedicht, ein Abgesang aus dem Hades auf die untergegangene DDR. Auch so kann man Geschichte erzählen, in Metaphern, ohne Anfang und ohne Ende. Aber Vorsicht, Drawerts Romanversuch ist nichts für unbedarfte Bürger Leser.

Kurt Drawert, 1956 geborenes DDR-Kind, rebellierte früh – und musste Elektriker werden. Immerhin machte er das Abitur nach und arbeitete bei der Post, als Bäcker und als Bibliotheks-Hilfskraft, bevor er Anfang der 80er Jahre in Leipzig endlich Literatur studieren durfte.Bekannt wurde der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller vor allem für seine Gedichte. Er war seit Jahrzehnten Suhrkamp-Autor, sein aktueller Roman erschien bei C. H. Beck in München.

Drawerts Held ist ist ein Mann ohne Geschichte, ohne Identität, ein moderner Kaspar Hauser. Er lebt im „neunten Schuldbezirk“, der untersten Spitze einer Pyramide, die in die Erde hineingetrieben wurde. Eine Hölle, die „Deutsche D. Republik mit der Hauptstadt Ostberlin und dem Staatswappenlogo aktiver Hammer, gespreizter Zirkel und große gebogene Ehrenähre“.

Dort, ganz  unten, schmort unser Held als emotional reduzierter Arbeitssklave, der von seiner Freundin an den „Geheimbund“ verpfiffen in der „untersten Unterklasse des Proletariats“ Buße tun muss. Sein Vergehen: Er hatte den Arbeiter- und Bauernstaat nicht in dem von oben verordneten besten Licht gesehen.

Drawert trifft in seinem grotesk anmutenden Roman voll in die Schwachstellen, der im Jahre „xx89“  untergegangenen DDR. Die fehlende Freiheit, die fehlende Gleichheit, die allgegenwärtige Überwachung und die Manipulation der Dummen Gutgläubigen, all dies schildert er nicht direkt, sondern in enger Umkreisung, die Fakten entblätternd, bis auf den Kern dringend.

Die düsteren Metaphern, kalt, manchmal ekelhaft dargestellt finden sich in der Form wieder, in endlosen Schachtelsätzen, die der Geschichte ein hohes Tempo geben. Diese Geschichte vom Untergang der DDR, die auf andere totalitäre Regime natürlich zu übertragen wäre, ist ein Lehrstück abseits der zeitgeschichtlichen Erklärung.

Sehr lesenswert, aber nochmal: Kein leichtes Stück.

Bewertung: *****

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