Die Leiden der zweiten Generation

Lizzie Doron „Der Anfang von etwas Schönem“, 257 Seiten, 18,80 €, Jüdischer Verlag (Suhrkamp), ISBN: 978-3633542277;

Neulich schrieb jemand über die 1950er Jahre, das sei jene Zeit gewesen, in der die Deutschen kollektiv einen Psychotherapeuten benötigt hätten, als Folge des Traumas NS-Zeit und Zusammenbruch. Als ob das für die Überlebenden des Holocausts beziehungsweise für deren Kinder nicht gelten würde? Lizzie Doron, 55, Schriftstellerin aus Tel Aviv, hat über die inneren Konflikte der „zweiten Generation“ einen Roman geschrieben.

Für Familientherapeuten liegen die Probleme auf der Hand: Ungelöste Konflikte werden von einer Generation zur nächsten getragen. Die Forschung hat dies natürlich auch längst erkannt. Seit rund 40 Jahren werden die  Langzeitfolgen der Shoah untersucht, unter dem Stichwort „transgenerationelle Übertragung“.

Bezahlen soll dafür Deutschland. Per Klage fordern seit Sommer 2007 die Kinder von Überlebenden die Kostenübernahme für ihre Psychotherapien. Dadurch wurden deren Probleme erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

In einer schnörkellosen, ja fast kühlen Sprache – wie lässt sich solches Leid sonst in Worte fassen – erzählt die Autorin von drei Menschen, die in Yad Elijahu, einem Stadtviertel von Tel Aviv geboren und aufgewachsen sind. 40 Jahre später treffen sie sich wieder.

Amalia Ben Ami lebt immer noch im Haus ihrer Mutter. Sie hat wechselnde Affären und arbeitet als Moderatorin bei einem Militärradio. Gadi ist seit jeher verliebt in sie. Aber die Behinderung durch Kinderlähmung verhinderte seine Einberufung zur Armee. er ging nach Amerika, ist dort erfolgreich, sehnt sich aber nach seinem Zuhause zurück. Beider Mütter haben Auschwitz überlebt.

Und da ist noch Chesi. In Paris arbeitet er als Historiker. Seine These: Der Zweite Weltkrieg endet erst, wenn die Juden und ihre Nachkommen wieder in ihre polnischen Heimatgemeinden und in ihr altes Leben zurückkehren können. und dort die jüdischen Häuser und  Gebetstätten wieder aufbauen. In Israel hört er im Radio, seinen Kindheitsschwarm Amalia einen „Schlager aus dem Lager“ ankündigen: „Still, still, mein Kind, schweig still, hier wachsen Gräber“.

Eine turbulente Geschichte beginnt, an deren Ende Amalia statt in Paris zu heiraten mit polnischen Grabsteinen nach Tel Aviv zurückkommt. Lizzie Doron komponiert ihre Geschichte bis ins Detail durch und offenbart die verborgenen Konflikte der zweiten Generation mit Humor und großer Empathie.

Bewertung: ****

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2 Gedanken zu „Die Leiden der zweiten Generation

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