Gefangen von der Melancholie der Metropole

Ara Güler/Orhan Pamuk „Istanbul“, 184 Seiten, 34,95 €, DuMont, ISBN: 978-3832192921;

Es sind die Gesichter, die faszinieren: diese Wetter gegerbten Antlitze, die Zeugnis geben von lebenslanger, harter, körperlicher Arbeit. Ara Güler, weltweit renommierter Fotograf, hat für dieses Istanbul-Buch ausdrucksstarke Bilder aus den 1940-er bis 1980-er Jahren zusammengestellt, und Nobelpreisträger Orhan Pamuk bringt dazu eine Liebeserklärung an seine Heimatstadt.

Der inzwischen 82-jährige Güler und Pamuk sind kongeniale Partner. Denn beide haben das längst vergangene Istanbul, das die Bilder zeigen, selbst erlebt – der eine al erwachsener Mann, der andere als Kind. „Manche dieser Fotos habe ich schon so oft gesehen, dass ich sie mit meinen eigenen Erinnerungen vermische.“ Kann es ein schöneres Kompliment geben?

Istanbul ist Europas Kulturhauptstadt 2010 – eine moderne Metropole, aber auch arm, hart, orientalisch und muslimisch. Istanbul ist alles, ein ganzer Kontinent in einer Großstadt mit geschätzt 17 Millionen Einwohnern (nur zwei Drittel sind registriert).

Es gibt sie auch heute noch, die Fischer am Bosporus. Aber entweder angeln sie als Hobby am Goldenen Horn, oder sie fahren moderne Boote. Der Wandel der Stadt ist augenfällig, wenn man sie heute als Tourist kennt und sie mit den charaktervollen Schwarz-Weiß-Fotos dieses Bildbands vergleicht.

Lassen wir noch mal Pamuk sprechen, denn schöner als ein Nobelpreisträger kann man es nicht schreiben:

„Mit poetischer Empfindsamkeit hat Ara Güler es insbesondere vermocht, in den fünfziger und sechziger Jahren jene ganz eigene Stimmung einzufangen, die sich ergab, als der Glanz der Vergangenheit nur noch als schwacher Schein herüberglomm und die Banken, Geschäftshäuser und Staatsgebäude, die von den Europäisierungsbestrebungen des Osmanischen Reiches zeugten, unübersehbare Verfallserscheinungen offenbarten.

Die wundervollen Aufnahmen aus dem Album Verschwundenes Istanbul zeigen das Beyoglu und das Istanbul meiner Kindheit, die Straßenbahnen, die Pflasterstraßen, die Reklameschilder, und mit ihrer Schwarzweißatmosphäre betonen sie die Mattigkeit, das Überlebtsein und den ,hüzün‘ (zu übersetzen mit Melancholie) der Stadt und gemahnen damit an das Pittoreske der Armenviertel.”

Ein Muss für Istanbul-Fans.

Bewertung: *****



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