Banalität ist Realität

Ralf Heimann „Die tote Kuh kommt morgen rein – Ein Reporter muss aufs Land“, 336 Seiten, 14,99 €, Scherz (brochiert), ISBN: 978-3651000568;

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Der Redaktionsleiter, Friedbert Brohmschulte mit Namen, ist unsäglich. Ein altgedienter Journalist, dem längst alles egal ist. Der alles Neue scheut. Was zählt, ist: Die Zeitung muss voll werden! Egal mit welchem Unsinn. Der Leser ist eine Sau, der frisst alles. Und die dörfliche Dreifaltigkeit – Bürgermeister, Vereinsvorsitzende und Unternehmer – darf die Themen bestimmen. Haben wir schließlich schon immer so gemacht.

Eine solche Redaktion gibt es nicht mehr? Jene Journalisten, die allen Vorurteilen über den Bratwurstjournalismus entsprechen, sind längst im Ruhestand? Glauben Sie das, liebe Kollegen? Sie irren, diese Redakteure sind unter uns. Zuhauf. In vielen Lokalredaktionen, die fernab und ungestört von ihren Zentralredaktionen  eine ruhige Kugel schieben und den gleichen (schlechten) Job machen wie ehedem, als das Redaktionelle bloß den Platz zwischen den Anzeigen füllen musste. Ralf Heimanns Provinzstädtchen Borkendorf  ist überall.

Erst neulich hatte ich die Bewerbung eines Jungredakteurs auf dem Tisch. Er hatte in einer kleinen Lokalredaktion einer großen Regionalzeitung in Süddeutschland volontiert  und wollte unbedingt dort weg. Runter von der Bremse, rauf aufs Gas. Raus aus einer Redaktion, die heute noch so arbeitet wie es schon vor 30 Jahren falsch war:  wo die Journalisten Angst haben gegen den Strich zu bürsten, persönliche Beziehungen über Inhalte entscheiden und Recherche noch als unerwünschte Einmischung gesehen wird.  Die Zeitung hieß nicht Borkendorfer Bote, aber sie könnte dessen Vorbild gewesen sein.

Ralf Heimann kommt aus dem Münsterland und nicht aus Süddeutschland. Er hat die meiste Zeit seines Volontariats in einer Kleinstadtredaktion verbracht  – und viel gelernt: Denn er ist ein exzellenter Beobachter. Immer wieder wollte ich aussteigen aus seinem Buch und blieb doch hängen, weil ich die dargestellten Banalitäten wiedererkannte. Etwa wenn bei der Prunksitzung des Karnevalvereins im Zeitungsbericht auf Wunsch der Veranstalter nicht die tatsächlich erschienenen 100 Besucher sondern 400 genannt werden und die Titelzeile „Borkendorf völlig närrisch“ so wirklichkeitsfremd ist wie eine Cancan tanzende Bundeskanzlerin Merkel.

Es ist entsetzlich, wie inhaltsfrei und irrelevant Lokalzeitungen sein können. Weil in einem  großen überregionalen Blatt zu lesen ist, dass es in Deutschland ein Kneipensterben gibt, muss das auch im Münsterland so sein. Nachdem es dafür keine Hinweise gibt, wird die Wahrheit im Borkendorfer Boten einfach zurechtgebogen. Wir wissen es: Recherche kann jede Geschichte kaputt machen.

Dort ist natürlich auch das Internet Neuland. Der twitternde Aushilfsvolontär bedroht die althergebrachte Ordnung in der Redaktion. Dessen Liveticker aus einem Omnibus, in dem die Fahrgäste wegen eines technischen Defekts kurzzeitig gefangen sind, ist allerdings auch an Belanglosigkeit kaum zu überbieten.

Vieles habe ich wiedererkannt in Heimanns Schilderungen aus dem Redaktionsalltag, mich mit Grausen erinnert an langjährige Redakteure, die nur dann Haltung zeigen, wenn sie Hut und Mantel nehmen, um in den Feierabend zu gehen, die die eigene Zeitung nicht lesen, weil sie ihnen egal ist, deren Artikel von inhaltsfreien Floskeln strotzen und die jegliche Konfrontation vermeiden. Ich erinnerte mich natürlich auch an die allwöchentlichen Fußball-Vorschauen, wo immer die gleichen Trainer immer das gleiche sagen: Sie wollen das nächste Spiel gewinnen. Ja, was denn sonst?

Schleunigst muss sich all dies ändern, brauchen Lokalredaktionen ein anderes Selbstbewusstsein, nach innen wie nach außen. Es hat sich natürlich viel getan in den vergangenen Jahren, aber trotzdem steckt in vielen Redaktionen immer noch jede Menge Borkendorf. Schön, dass das mal jemand so amüsant dargestellt hat.

(Dieser Text wurde im Dezember 2013 im „Medium Magazin“ erstveröffentlicht.)

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