Integrationswillen fehlt auf beiden Seiten

Ismail Boro „Die getürkte Republik“, 272 Seiten, 17,95 €, Heyne, ISBN: 978-3453155367;

Parallelgesellschaften, jugendliche U-Bahn-Schläger, Ehrenmorde – unser Bild der türkischen Mitbürger ist weitgehend von Vorurteilen und von Verurteilungen bestimmt. Dabei leben die meisten der rund drei Millionen Türkischstämmigen gut integriert in der deutschen Gesellschaft.

In den 50er Jahren holte Deutschland die ersten türkischen Arbeitnehmer ins Land. Es bestand Arbeitskräftemangel, und die Zuwanderer bekamen jene Jobs, für die sich die Ur-Deutschen zu schade waren. Die Qualifikation der armen, ungebildeten Anatolier war zu gering, um wirklich erfolgreich sein zu können. Aber warum auch? Die „Gastarbeiter“ sollten ja beizeiten zurückkehren.

An diesem Wunsch der Mehrheitsgesellschaft änderte sich nichts bis weit in die 80er Jahre: Längst hatten sich die Einwanderer fest niedergelassen. Eine Rückkehr erschien ihnen die schlechtere Lösung, denn Armut und Arbeitslosigkeit waren weiterhin groß in der Heimat.

Längst war die zweite Generation Türkischstämmiger geboren. Sie besuchten deutsche Schulen, deutsche Gymnasien, deutsche Universitäten  – und hatten ungleich schlechtere Bildungs- und Aufstiegschancen. Denn die deutsche Politik sah „Türkenklassen“, Sonderschulen und Ausgrenzung statt Integration vor.

Erst in den 90er Jahren änderte sich das: Deutschland bekannte sich dazu, Einwanderungsland zu sein. Integration hieß das Schlagwort. Die dritte Generation Deutschtürken wächst heran, und sie sind „türkischer“ als ihre Vorfahren. Nun, der große Katzenjammer. Aber wer will diesen Menschen wirklich verdenken, dass sie glauben, nicht gewollt zu werden.

Noch immer hören sie auf der Straße, das Pseudo-Kompliment: „Sie können aber gut deutsch“. Noch immer entscheiden Arbeitgeber aufgrund Namens und Herkunft und nicht der Qualifikation, wer den ausgeschriebenen Job behält. Kein Wunder, das Ismail Boro von der „getürkten Republik“ spricht.

Der in Tarsus geborene, 55-jährige Wissenschaftler lebt seit 36 Jahren in Deutschland. Die ARD-Doku „Schwarzwaldhaus 1902“ machte ihn bundesweit bekannt. In seinem Buch skizziert er, aufbauend auf seinen eigenen Erfahrungen, wie eine erfolgreiche Integrationspolitik aussehen kann.

Basis ist Bereitschaft auf beiden Seiten: Eine gerechtere Bildungspolitik, aber laut Boro auch konsequente rechtliche Maßnahmen, wie Abschiebung und Ausweisung.

Ein interessantes Buch in einer Auseinandersetzung, die immer wichtiger wird.

Bewertung: ****

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