Aus dem Alltag von Mittelstandsfamilien

Anna Katharina Hahn „Kürzere Tage“, 223 Seiten, 19,80 €, Suhrkamp, ISBN: 978-3518420577;

Hahn_Tage

Gesucht wird … die Supermama: Da ist Judith, Mutter und verheiratet mit Klaus, einem Langweiler. Pillen und Nikotin machen Judith den Alltag erträglich. Und da ist Leonie, das „Business-Babe“, eine gehetzte Karrierefrau mit zwei Kindern, gefangen in Schuldgefühlen. Ausgerechnet im schäbisch-geschäftigen Stuttgart hat Anna-Katharina Hahn ihren ersten Roman angesiedelt.

Stuttgart ist Durchschnitt, in jeder Hinsicht. Und die Stadt ist nicht so groß, Arm und Reich sind hier eng beisammen. Judith und Leonie sind die beiden Gegenpole in dieser trefflichen Milieustudie. Und dann ist da noch Marco. Der junge Mann wohnt im Hochhaus, ein 14-jähriger Underdog, der so gar nicht in dieses bürgerliche (Pseudo-)Idyll passt.

„Wenn Leonie in das Fenster auf der anderen Straßenseite schaut, hat sie das Gefühl, ein Bilderbuch aufzuschlagen, in dem alles so ist, wie es sein soll. Sie gönnt sich den Anblick der heiligen Familie, wie sie die Nachbarn nennt, fast täglich.“ Präzise, fast lakonisch schildert Hahn Leben und Gefühle ihrer Hauptfiguren. „Kürzere Tage“ ist ein Buch der bundesrepublikanischen Nuller Jahre.

An keiner Stelle wird in diesem weiblichen Wettstreit deutlich, um was es wirklich geht. Weder das Berufliche, noch der private Erfolg spielen wirklich eine Rolle. Tatsächlich sind beide Mütter mit ihrem Leben in geradezu tragischer Weise überfordert. Wann ist man denn überhaupt eine gute Mutter?

In einer sehr eindringlichen Sprache schildert Hahn den großbürgerlichen Mief und die emotionale Verarmung der Gesellschaft. Schon bei Katharina Hackers ausgezeichnetem „Die Habenichtse“ findet sich ein äühnliches Motiv. Hahn war mutiger: Sie realisierte den Roman in einer deutschen Mittelstadt (anstelle von London) und blieb auch in ihrer Sprache nicht so steril.

Bewertung: ****

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