Auch Schattenseiten können liebenswert sein

Al Herb „Sündiges München – Nachtszenen der Nachkriegszeit“, 168 Seiten, 28 €, Hirschkäfer, ISBN: 978-3940839077;

alherb

Hossa, dass München eine Sünde wert ist, ist ja nicht neu. Aber dass München nach dem Krieg die Sünde war, so eine Art St. Pauli jun., davon wusste ich nichts. Al Herb, ein mittlerweile 78 Jahre alter Fotograf, hat die wilden Jahre des heute so braven Millionendorfs dokumentiert. Der liebevoll von Martin Arz editierte Bildband ist ein Zeitdokument.

Sie nannten sich Prinzessin Seramis, Monique Montez und La Chajue, sie tanzten in der Bongo Bar, in der Lola Montez Bar und in der Dschungel Bar – verruchte Etablissements. Und lüsterne Männer saßen mit offenen Mündern vor ihnen – in einer Zeit, in der Pornografie noch nicht allgegenwärtig war.

Beispiel: Der Zeitungsverkäufer, der wie erstarrt mit offenem Mund auf die bloßen Brüste von Tänzerin  Terry Black glotzt, vor 33 Jahren in der Fernandel Bar an der Hans-Sachs-Straße.  Die üppige Ines Tamara tanzte 1959 im „Moulin Rouge“ in der Herzogspitalstraße – ein merkwürdiger Krontast zu den Hungerhaken-Frauen heutiger Tage.

30 Jahre lang stromerte Nachtschwärmer Herb mit seiner Rolleiflex durch die Straßen und erkundigte die andere, die dunkle Seite der Schicki-Micki-Stadt: Betrunkene, Kriegsversehrte, Bettler, Obdachlose – und am liebsten Tänzerinnen. In einem Zeitungsinterview sagte Herb: „Es hat mir immer gefallen, wie die sich bewegt haben. Das hat mich ungemein fasziniert.“

Als sich die Zeiten änderten und Sperrbezirks-Ausweisungen das „Helle“ und das „Dunkle“ trennten, zog sich auch Herb zurück. Es machte ihm offenkundig keinen Spaß mehr (nun der Mann wurde auch älter), außerdem sei die Qualität nicht so mehr gewesen wie vorher, sagte er. Das Fernsehen …

Aber das ist gut so. Dadurch gewinnen Herbs Bilder noch an Authenzität. Die Schattenseiten von München haben sich geändert, und sie haben vermutlich nicht mehr den Charme von damals, als Monique Montez sogar auf dem Pferd Theo in der Eve Bar am Karolinenplatz strippte. Unglaublich, aber wahr.

Ein Pflichtbuch für München-Liebhaber.

Bewertung: *****

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