Genialer Komponist, unmöglicher Typ

Dieses Jahr war das Wagner-Jahr. Nicht nur, aber vor allem hier in Bayreuth, der Stadt, in der ich lebe und arbeite. Das ganze Jahr lang wurde gefeiert, es gab Symposien, Kongresse und die Aufführung der Frühwerke. Und auch wenn man glauben sollte, kaum ein Leben ist so gut erforscht wie das Wagners, die Unmenge an Neuerscheinungen vermittelt einen anderen Eindruck. Eine kleine Auswahl:

Joachim Kaiser „Leben mit Wagner“ (Siedler);
Friedrich Dieckmann „Das Liebesverbot und die Revolution“
(Insel);
Sven Oliver Müller „Richard Wagner und die Deutschen“
(C. H. Beck);
Martin Geck „Richard Wagner“, 416 Seiten
(Siedler);
Enrik Lauer/Regine Müller „Der kleiner Wagnerianer“
(C. H. Beck);
Dieter Borchmeyer „Richard Wagner – Werk, Leben, Zeit“
(Reclam);
Iris Winkler „Schönheit, Glanz, Wahn“
(Bloomsbury);
Eberhard Straub „Wagner und Verdi“
(Klett-Cotta);

En Detail.

Joachim Kaiser „Leben mit Wagner“, 240 Seiten, 16,99 €, Siedler, ISBN: 978-3827500281;

Kein neues Buch, der fast 85-jährige berühmte Musikkritiker, hatte es schon 1990 veröffentlicht. Doch trotz der 23 Jahre gehört es zu den lesenswertesten „Neuerscheinungen“ dieses Jahres. Joachim Kaiser, ein exzellenter Kenner Wagners, nachdem er vor nun schon 60 Jahren die erste Rezension über ihn schrieb, setzt sich hier mit dessen Widersprüchlichkeit auseinander. Auf der einen Seite der geniale Komponist, auf der anderen Seite der selbstherrliche, egomanische Antisemit, der noch dazu den Makel hat, dass ihn ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod Hitler verehrte.

Kaiser befasste sich auch mit den Werken Wagners, knapp zwar, aber sehr informativ. Ein Buch, das Appetit macht auf mehr.

Bewertung: ****

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Friedrich Dieckmann „Das Liebesverbot und die Revolution“, 235 Seiten, 22,95 €, Insel, ISBN: 978-3458175698;

Dieses Kapitel in Wagners Lebens ist zwar gut erforscht, aber vielen Laien nicht bekannt. Richard Wagners revolutionäre Jahre, als er 1948/49 in Leipzig an der Revolution mitwirkte, ins Visier der Staatsmacht geriet und in die Schweiz fliehen musste.

Die Revolution schlug natürlich auch aufs Werk durch. Den „Lohengrin“ schrieb er just,. als die Revolution begann, und der „Ring des Nibelungens“ fusst auf Wagners Revolutionserfahrungen. Und dann noch das Liebesverbot. Das hat Wagner selbst erfahren, im Zusammenhang mit seiner innig geliebten Schwester.

Ein sehr kenntnisreiches Buch, aus dem viel Sympathie spricht.

Bewertung: ****

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Sven Oliver Müller „Richard Wagner und die Deutschen“, 351 Seiten, 22,95 €, C. H. Beck, ISBN: 978-3406644559;

Richard Wagner und die Deutschen, das ist eine nicht enden wollende Geschichte. Neutral lässt sich dieser Komponist nicht betrachten. Man liebt ihn oder man hasst ihn, egal ob links oder rechts, Monarch oder Bürger. Historiker Müller, der kein Wagner-Liebhaber sein will, beleuchtet dessen Wirkungsgeschichte durch die vergangenen knapp 150 Jahre.

Wer dieses Buch liest, erfährt nichts über dessen Werk, aber ganz viel darüber, wieso der Wagner-Kult (mit den weltweiten Wagner-Gesellschaften) heute noch so einzigartig blüht wie die Verehrung keines anderen Komponisten.

Bewertung: ****

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Martin Geck „Richard Wagner“, 416 Seiten, 24,99 €, Siedler, ISBN: 978-3886809271;

Eines der ersten Bücher zum Wagner-Geburtstag und eines der umfangreichsten. Was kein Wunder ist: Der Musikwissenschaftler Martin Geck gilt nicht nur als einer der kenntnisreichsten Wagner-Kenner, er ist auch noch ein ausgezeichneter Schreiber – wenn er sich nur nicht so oft in Zitaten verlieren würde.

Dabei begibt er sich nicht auf das Glatteis, einfach nur Wagners Leben nachzuerzählen und dessen Wirkung zu vernachlässigen, nein, er nimmt eine moderne Perspektive ein. Das Wissen um die eigentliche Lebensgeschichte setzt er einfach voraus. Und Noten lesen sollte man tunlichst auch beherrschen.

Wer diese Voraussetzungen erfüllt und so richtig tief einsteigen will in die Wirkungsgeschichte des Komponisten, dem sei dieser Wälzer angeraten.

Bewertung: ****

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Enrik Lauer/Regine Müller „Der kleiner Wagnerianer“, 261 Seiten, 17,95 €, C. H. Beck, ISBN: 978-3406641107;

Wagner gilt als groß, als ernst, als pathosüberladen. Muss aber nicht sein. Das zeigte dieses nette kleine Büchlein, eine Einführung für Wagner-Anfänger. Es geht ganz alltäglich an das Musikgenie heran, beleuchtet dessen Wirkung, erklärt den Tristan-Akkord, dessen Probleme mit Geld, dessen Beziehungen zur Psychoanalyse und lässt auch den Antisemitismus nicht aus. Sogar die Verhaltensregeln für einen Besuch bei Wagner werden erläutert (nicht aber, wie man in Bayreuth anm eine Karte kommt).

Eine spielerische Annäherung an das Phänomen Wagner.

Bewertung: ***

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Dieter Borchmeyer „Richard Wagner – Werk, Leben, Zeit“, 404 Seiten, 22,95 €, Reclam, ISBN: 978-3150109144;

Borchmeyer_Wagner

Auch das gibt es noch in diesem an Intepretationen reichen Wagner-Angebot, eine klassische Biografie. Geschrieben hat sie Dieter Borchmeyer, hochdekorierter Forscher mit Schwerpunkt auf Thomas Mann und Richard Wagner (hier sind sie wieder, die beiden Antipoden).

Er sei kein Wagnerianer, hat der Autor in einem Radio-Interview gesagt und somit seinen Abstand zum Forschungsgegenstand deutlich gemacht. Wagners Werk jedenfalls weise relativ wenig Übereinstimmungen mit seinem Leben auf, eher habe der Komponist versucht, sein Leben so zu gestalten wie seine Opern.

Der Borchmeyer ordnet gut ein.

Bewertung: ***

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Iris Winkler „Schönheit, Glanz, Wahn“, 176 Seiten, 16,99 €, Bloomsbury, ISBN: 978-3827055057;

Ein Jugendbuch, und noch dazu ein gutes, das auch für Erwachsene geeignet ist. Auf nicht einmal 200 Seiten erzählt die Musiktheaterpädagogin Iris Winkler das Leben von Wagner, seine Bezüge zu Bayreuth, sein revolutionäres Leben, seine Frauengeschichten – einfach alles, was wichtig ist und das in einer ansprechenden Sprache.

Dabei läst die Autorin die Leistungen Wagners für die Musik nicht aus und weckt bei der Zielgruppe der 12- bis 16-Jährigen das Interesse an diesem frühen Popstar.

Bewertung: ****

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Eberhard Straub „Wagner und Verdi“, 352 Seiten, 24,95 €, Klett-Cotta, ISBN: 978-3608946123;

Sie wurden zwar im gleichen Jahr geboren, waren als Opernkomponisten auch im selben Genre aktiv, aber eigentlich hatten sie nicht viel gemein: Der Deutsche Richard Wagner und der Italiener Guiseppe Verdi. Gleichwohl versucht der Historiker Eberhard Straub Parallen zu ziehen zwischen dem Revolutionär Wagner und dem katholischen Christen Verdi.

Ein schweres Unterfangen, das auch nicht wirklich gelingt. Dem Buch fehlt eine These. Gleichwohl sind die vielen kennntnisreich erzählten Anekdoten lesenswert.

Bewertung: ***

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Eva Weissweiler „Erbin des Feuers – Friedelind Wagner“, 368 Seiten, 14,99 €, Pantheon, ISBN: 978-3570551905 (broschiert);

Dieses Buch erschien schon 2012 und hat auch nur am Rande mit dem 200. Geburtstag von Richard Wagner zu tun . Spannnend ist die Geschichte von seiner Enkelin Friedeland aber doch. 1918 geboren ging sie als junge Frau ins amerikanische Exil. Der NS-Ideologie, der sie zuerst zugewandt war, schwor sie ab und schrieb  ihre Abrechnung mit der Familie „Nacht über Bayreuth“.

Erst in den 50er Jahren kehrte sie auf Besuch zurück und blieb das schwarze Schaf der Familie. Die Biografie der 1991 verstorbenen mutigen Frau vermag es wenigstens ein bisschen den schlechten Umgang der Wagners mit den Nazis zu relativieren.

Bewertung: *****

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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