Gefangen zwischen den Welten

Joseph Zoderer „Die Farben der Grausamkeit“, 336 Seiten, 19,90 €, Haymon, ISBN: 978-3852186849;

Wie geht das eigentlich, so ein Doppelleben: Auf der einen Seite die Ehefrau mit den Kindern, auf der anderen Seite die Geliebte. Richard Zoderer, einer der wichtigsten Südtiroler Erzähler, hat sich dieses Themas angenommen. Sein Ehedrama „Die Farben der Grausamkeit“ stellt das brüchige Idyll einer bürgerlichen Existenz gegen die Sehnsüchte und Verführungen eines modernistischen Singledaseins.

Im Mittelpunkt steht Richard, ein Journalist. Er ist verheiratet mit Selma, einer Architektin. Die beiden haben zwei Kinder, leben auf einem alten Bergbauernhof, den sie gekauft haben,  und sie kommen gut miteinander klar. Alles bestens also? Nein, Richard hat noch eine andere Seite. Als die Mauer fällt, wird er als Berichterstatter nach Berlin geschickt und dort trifft er eine alte Jugendliebe wieder.  Am Ende ist Miguela alias Ursula von ihm schwanger – und Selma ebenfalls.

Mehr und mehr entfremdet sich Richard von seiner Familie, Selma ahnt etwas, spricht es aber nicht aus – die klassische Realitätsverweigerung. Er ist aber auch in seiner lärmenden, aufregenden Stadtexistenz nicht mehr wirklich zuhause. Die Erdung geht grundlegend verloren.

Zoderer hat einen Helden geschaffen, der keiner ist: unsympathisch, ein permanenter Selbstinszenierer, gefangen in seinen Schuldgefühlen –  und schwach. Er selbst schafft es nämlich nicht für Klarheit in seinem Leben zu sorgen. Ihm geht, wie es heißt, „die Fähigkeit fremd zu sein“ ab, „gleichzeitig jedoch die Farbe des jewieligen Daheims anzunehmen“.

Zoderer ist mehr Poet denn Schriftsteller. Er lässt starke Gefühle sprechen und gebraucht mächtige Metaphern, die nicht immer schlüssig sind und manchmal schwülstig wirken. Trotzdem taucht er tief ein in die Gefühle seiner Figuren und macht Ohnmacht und Zerrissenheit deutlich.

Bewertung: ****

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