Die Befreiung aus dem Wahnsinn

Natascha Wodin „Nachtgeschwister“, 240 Seiten, 19,90 €, Antje Kunstmann, ISBN: 978-3888975608;

Wodin

Sprache kann Liebe sein, aber kann ein Gedichtband der Anfang für die totale Liebe sein. Ist wohl so. In diesem erstaunlichen, poetischen, fast nackten Stück Literatur beschreibt Natascha Wodin ihre Jahre mit dem Schriftsteller Wolfgang Hilbig, einem zutiefst verstörten gestörten, unerträglichen  Menschen. Was sie verband, war – Liebe!

Es gibt einen Roman von Wolfgang Hilbig, den vor zehn Jahren erschienenen „Das Provisorium“, da beschreibt der in den 80er Jahren aus der DDR in den Westen ausgereiste Sprachbauer die Liebe zu Natascha aus seiner Perspektive. Er nennt sie Edda.

Die in Fürth geborene Natascha Wodin, Kind ukrainischer Zwangsarbeiter, wartete mit ihrer Version der Geschichte, bis der an einem Krebsleiden verstorbene Hilbig unter der Erde war. Was für eine Geschichte.

Beide sind sie verlorene Menschen, ja tatsächlich Geschwister im Geiste, wie der Titel sagt. Und beide leben sie sehr stark die dunkle Seite ihrer Existenz, das schwierige Erbe ihrer eigenen Lebensgeschichte. Und sie finden zusammen wie zwei Ertrinkende.

Das zeigt schon ihre erste Begegnung, als die Frau mit dem entsetzlich unattraktiven, ungepflegten Mann nach endlosen Gesprächen in einer für sie fremden Sprache (Extrem-Sächsisch), beide völlig betrunken, im teuersten Hotel hemmungslos vögelt.

Hilbich alias Jakob Stumm ist ein geradezu lebensuntüchtiger Mensch. IIm Osten strukturierte seine Mutter sein Leben, im Westen nun seine Geliebte und spätere Frau, die er im „Provisorium“ Edda genannt hatte. Und andererseits war er ein brillianter Dichter. Genie und Wahnsinn, so zeigt sich auch hier sind zwei Seiten einer Medaille.

Natascha Wodin, die von 1994 bis 2002 mit Hilbich verheiratet war, bevor sie die Flucht ergriff, klagt nicht an. Sie erzählt, rückt zurecht, sie beichtet, und sie ist auch dankbar, denn die Jahre mit dem Hilbbich brachteten ihr auch Befreiuung aus eigenen Traumata.

„Was immer Jakob sagt, was immer er tut, wie maßlos ich ihn auch hasse, meine Liebe zu dem, dessen Gedichte ich einst an einem windigen Apriltag auf einem Wühltisch gefunden habe, ist immer stärker als alles andere in mit geblieben, sie hat auch heute noch das letzte Wort.“

Ein erstaunliches Buch, ein Liebesroman für Leser mit starken Nerven.

Bewertung: *****


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