Von der Wut einer verlorenen Generation

Murat Uyurkulak „Zorn“, 352 Seiten, 19,90 €, Unionsverlag (Türkische Bibliothek), ISN: 978-3293100114;

„Zorn“, in dem Romantitel steckt ein Grundgefühl der Türkei: Zorn auf die nicht schnell genug verlaufende Modernierung, auf die Konflikte um die Regilgion, auf Armut und übersteigerten Reichturm. Hier heißt es: Treffen sich zwei Männer im Zug, auf dem Weg in den wilden Osten der Türkei. Sie reden – und heraus kommt ein Werk, das die Kritiker schon als Geschichtsschreibung ansehen.

Uyurkulak, mit 36 Jahren noch ein junger Wilder, lässt kein Tabu aus. Der alte Kämpfer, genannt „Der Dichter“ und der jugendliche Schwärmer, die sich im Zug treffen, reden und reden, trinken zusammen, rauchen Haschisch. Und irgendwann drückt der Dichter dem Jungen einen Packen Papier in die Hand: „Los lies.“ Der Junge gehorcht und erkennt, es geht um seinen Vater. Ihn hatte er nie kennengelernt.

Der Debutroman des Auslandskorrespondenten einer kleinen türkischen Tageszeitung steckt voller Symbolik. So führt die Zugfahrt von Istanbul nach Diyarbakir, von einer Hauptstadt (des alten osmanischen Reichs) zur anderen (der Kurden). Ankara bleibt außen vor. Und der Originaltitel „Tol“ ist kurdisch und steht für Rache.

„Ich Yusuf, arbeitete als Korrektor in einem Verlag, der Mainstream-Bücher herausgab. (…) Jeden Tag sah ich zu, wie dunkelhaarige Männer und Frauen mit Stößen von feuchtem, schlechtem Papier unterm Arm zur Tür hereinkamen, aus ihren Bärten, Haaren und sämtlichen intimen Stellen vor Wut geradezu rauchten und hochkant wieder rausgeschmissen wurden. Der Verleger, dem das Gewissen unter die Gürtellinie gerutscht war, (nahm) auf meiner Todesliste einen der fünf ersten Plätze ein.“

Kein Wunder, das Yusuf ein neues Leben sucht. Sprachlich direkt und ungeschminkt, mit hohem Tempo erzählt Uyurkulak eine Geschichte der Türkei, die in den 50er Jahren beginnt und eine verlorene Generation zum Thema hat, die vom System gefangen war – zwischen einem Aufbruch in die Moderne und der islamisch-osmanischen Tradition, ein Konflikt, der das Land noch immer in Atem hält.

„Die Revolution war einst eine Wahrscheinlichkeit, und sie war sehr schön“, so heißt es an einer Stelle. Immer wurden Revolutionen in letzter Sekunde abgewendet. Gut für die Türkei!

Bewertung: ****

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Ein Gedanke zu „Von der Wut einer verlorenen Generation

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