Freundliche Menschen, wenig Politisches

Hans-Joachim Löwer „Atatürks Kinder“, 215 Seiten, 19,90 €, Frederking & Thaler, ISBN: 978-3894056810;

Rätselhafte Türkei, Land der Gegensätze. Der Auslandsreporter Hans-Joachim Löwer hat zur Beschreibung der „heutigen Türkei“, so der Untertitel des Buchs, ein journalistisches Format gewählt: Reportagen oder Porträts, wie er sie nennt. Leider reizt er die Möglichkeiten nicht aus.

Von Nordost nach Südwest und wieder rauf in den Norden bis nach Istanbul führte Löwers Reise – zu Fuß im Minibus, per Anhalter, immer auf Tuchfühlung mit den Einheimischen. Er wandert über Hirtenpfade durch das Gebirge an der georgischen Grenze. Ganz tief in Ostanatolien besucht er in Erzurum eine bettelarme  Tagelöhner-Familie.

Er trifft auf zurückgekehrte, ehemalige Gastarbeiter – Wanderer zwischen zwei Welten. Und er spricht mit zivilen Opfern des Kurdenkriegs, deren Dorf zwischen die Fronten geriet. An seine Grenzen kommt Löwer, als er versucht, mit islamischen Führern ins Gespräch zu kommen. Sie lassen ihn abblitzen – ein Indiz für den gesellschaftlichen Spalt zwischen Laizismus und Islam, der die Türkei durchzieht.

Den thematisiert der ehemalige Stern-Reporter aber nicht wirklich. Immer dann, wenn die Politik ins Spiel kommt, werden die Geschichten oberflächlich. Löwer versteht es, Menschen zu porträtieren. Die tatsächliche Zerrissenheit der Türkei, die sich ganz aktuell im Verbotsverfahren gegen die mit 47 Prozent regierende AK-Partei zeigt, erfasst Löwer nicht.

Sein Handicap ist natürlich, nicht türkisch zu sprechen und auf Dolmetscher angewiesen zu sein. Gleichwohl sucht er immer wieder die Perspektive der Türken, will wissen, was die von Europa halten, hört, dass sie sich im Demokratieprozess im Stich gelassen fühlen. Gerade an solchen Stellen kommt ihm sein lockerer Plauderton zugute.

Ein Buch, das eine gute Einführung in das Denken von „Atatürks Kindern“ oder besser Enkeln ermöglicht. Wer aber tiefer einsteigen will in die Türkei-Problematik, dem sei Sibylle Thelens auf Istanbul fokussiertes „Stadt unter Strom“ empfohlen. Die Stuttgarter Journalistin ist der Türkei wesentlich näher gekommen.

Bewertung: ***(*)

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Ein Gedanke zu „Freundliche Menschen, wenig Politisches

  1. Ich bin selbst schon durch die Türkei gereist (einmal per Bahn und Bus und einmal per Rad) und kann die Problematik gut vorstellen (obwohl ich das Buch nicht gelesen habe). Es ist einfach, in Kontakt zu kommen, man wird oft zum Tee eingeladen und ähnliches. Gerade das verleitet einen leicht dazu zu denken, man würde „die Türkei“ kennen – das ist natürlich Quatsch. Dazu kommen die ganzen intensiven Bilder und vielen neuen Eindrücke – man hat das Land ja „gesehen“. Aber das ist im Allgemeinen wirklich nur Oberfläche.
    Sprachkenntnisse sind ein wesentlicher Faktor dabei, aber auch nicht alles. Was man einen Fremden erzählt, ist nur ein kleiner Bruchteil und meist ist es auch zweckgeleitet, welchen Eindruck jemand zu erwecken versucht.
    Reiseberichte lese ich an sich gerne, aber die Autoren sollten dabei ihre eigenen Grenzen erkennen – und diese kritisch reflektieren. Was viele nicht tun. Naja, vielleicht werde ich mir eins der Bücher doch mal zu Gemüte führen, jetzt interessiert es mich doch mal…

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