Die Blutrache als archaisches Relikt

Ralf Pasch/Katrin Rohnstock „Mein Leben im Schatten der Blutrache – Die Geschichte der Gülnaz Beyaz“, 236 Seiten, 11,90 €, DTV, ISBN: 978-3423344807;

Wer Blutrache hört, der denkt an Ehrenmord und Türkei, vor allem aber an Islam. Ein Bild, das nicht zutrifft. Im Koran steht nichts von Blutrache zur Rettung der Familienehre oder ähnlichem. Dies gehört vielmehr zur Tradition von Stammesgesellschaften. Der Fall der Deutsch-Türkin Katrin Rohnstock bestätigt dies. Sie ist Jesidin, und sie ist Kurdin.

Jesiden sind eine uralte Religionsgemeinschaft. Die Wurzeln dieses fast ausschließlich von Kurden ausgeübten Glaubens reichen der Überlieferung nach zurück bis in vorchristliche, vorjüdische Zeiten. Die Jesiden glauben an den einen Gott, an die Toleranz und an die Seelenwanderung.

In den vergangenen Jahrhunderten wurden die jesidischen Kurden zwangsislamisiert oder vertrieben. In der Türkei leben offiziell nicht einmal 500 Kurden dieses Glaubens. Die größte Gemeinschaft lebt mit 300.000 Mitgliedern im Irak. 60.000 sollen es in Deutschland sein – vorwiegend türkischstämmige, wie Gülnaz Beyaz.

Ihre Geschichte ging durch die Medien, ein Arte-Film darüber wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Die in Anatolien geborene Gülnaz wird in Deutschland sehr jung mit einem jesidischen Mann verheiratet. Zwar emanzipiert sie sich und baut ihre eigene Fahrschule auf –  die Ehe aber läuft nach alten patriarchischen Mustern: Schläge und Demütigungen.

Als sich Gülnaz Beyaz nach 22 Jahren scheiden lässt, trifft sie der Bannstrahl der Familie. Blutrache! Der Neffe des Ex-Mannes schießt auf ihren Bruder und wird dann von einem anderen Bruder umgebracht. Aus den Gerichtsakten und der Lebensbeichte von Gülnaz Beyaz haben Katrin Rohnstock und Co-Autor Ralf Pasch ein packendes Buch gemacht.

Rohnstock ist übrigens so etwas, was man früher Ghostwriterin nannte. Sie spricht von „Autobiografikerin“. Vor zehn Jahren gründete sie eine Agentur. Sie schreibt im Auftrag Biografien und Firmengeschichten – auch zu heiklen Themen, etwa über das Sterben.

Beurteilung: ****

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