Gescheitert im Größenwahn angeblicher Überlegenheit

Dan Simmons, „Terror“, 992 Seiten, 22,95 €, Heyne, ISBN: 978-3453029057;

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Dieses Buch ist ein Etikettenschwindel: Wer in Zeiten von 9/11 das Wort Terror hört, denkt unwillkürrlich an Bin Laden, an Anschläge, an Selbstmord-Attentäter – niemals aber an Sir John Franklin, der vor über 160 Jahren den Weg durch die Nordwestpassage finden wollte. Dessen Geschichte erzählt Bestsellerautor Simmons in diesem spannenden Schmöker für kalte Winterabende.

Die Nordwestpassage, der Seeweg zwischen arktischem Eis und amerikanischem Festland, ist seit kurzem wieder ein Thema. Aufgrund der Erderwärmung sollte die legendäre Meeresverbindung nämlich demnächst eisfrei sein. Nicht nur deshalb streiten sich die Anliegerstaaten Kanada, Russland und Dänemark (wegen Grönland) um die dort vermuteten reichhaltigen Bodenschätze.

Um den Buchtitel zu erklären: „Terror“ ist der Name eines der beiden Schiffe, die mit Franklin auf die Reise gehen – mit dicken Eisenplatten gepanzerte und mit Heizungen ausgestattete Schiffe, die als Antrieb Dampfmaschinen hatten, zwei frühere Eisbrecher sozusagen, mit zusammen 130 Mann Besatzung.

Immer tiefer fahren sie ins Eis hinein, weil es Sir John endlich schaffen will. Vergebens, irgendwann stecken beide Schiffe im Packeis fest. Ab jetzt geht es um das blanke Überleben. Skorbut, das Wetter, Ungehorsam und auch noch ein monströser Eisbär fordern ein Opfer nach dem anderen. Gerade der Eisbär entwickelt sich zum Alptraum der von der Natur gepeinigten Menschen.

Bis ins kleinste Detail hat der als Science-Fiction-Autor bekannt gewordene Amerikaner Simmons das Scheitern nacherzählt. Ein Scheitern, das auch viel mit Überheblichkeit zu tun hat.

Berauscht von der eigenen Technologie, ignorieren die Briten, damals die selbst ernannten Herrscher der Welt, die simplen aber wirkungsvollen Überlebenstechniken der Ureinwohner, der Inuit, die im Unterschied zu den Eindringlingen in der lebensfeindlichen Umwelt zurecht kommen.

Und so steht Kannibalismus, also der Niedergang jeglicher Zivilisation, am Ende dieser katastrophalen Reise, der Franklin als einer der zum Opfer fällt. Was tatsächlich passierte damals, Simmons hat es wortreich rekonstruiert. Spuren der Expedition wurden nie gefunden.

„Terror“ ist ein Abenteuerroman, ein historischer Roman und – dank des geheimnisvollen Eismonsters – auch eine Horrorgeschichte. Und es ist eine Parabel auf gegenwärtige Konflikte, losgetreten von angeblich überlegenen Kulturen.

Bewertung: ****

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